Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
06.07.2020

"Gegen das Vergessen"

Gastbeitrag für die "Ingolstädter Stimme"

Gegen das Vergessen

 

Joseph Jakob wurde mit sieben Jahren in der Gaskammer von Schloss Hartheim ermordet. Er war ein Ingolstädter Kind: 1933 in der Münchner Straße geboren und getauft in St. Anton. Über sein Schicksal und das der weiteren 37 NS-„Euthanasie“-Opfer aus Ingolstadt und Region, ist in Ingolstadt kaum etwas bekannt. Sie wurden im Rahmen der „Aktion T4“ von den Nazis ermordet. Im Vergleich zu anderen Großstädten ist mit über einhundert Opfern von NS-„Euthanasie“ aus Ingolstadt zu rechnen. Besonders die Recherche nach Betroffenen von dezentraler „Euthanasie“ ist aufwändig. Anhand der Patientenakten festzustellen, ob jemand gezielt durch Medikamentenvergabe ermordet wurde, ist nur mit Expertise möglich. Während vor allem die Schicksale der Ingolstädter Juden u.a. dank Dr. Theodor Straub aufgearbeitet wurden, gibt es bei anderen Opfergruppen noch Nachholbedarf. Durch die Gründung der Ingolstädter Gedenkinitiative im vergangenen Jahr kam Bewegung in die Erinnerungsarbeit. Mittlerweile konnten zahlreiche bislang unbekannte Ingolstädter Opfer nationalsozialistischer Verfolgung recherchiert werden. Dagmar Pachtner, die Künstlerin der Gedenkstätte am Luitpoldpark, wird Arbeit bekommen für neue „blaue Stelen“: Noch gibt es keine für die Opfergruppe NS-„Euthanasie“ sowie für Ingolstädter*innen, welche die Nazis als „Asoziale“ oder „Berufsverbrecher“ einstuften. Ebenso wenig für Ingolstädter „Justizhäftlinge“, die ihre Haftstrafen im KZ Mauthausen verbüßen mussten und dort umkamen. Auch aus Opfergruppen, zu denen bereits Ingolstädter Betroffene bekannt sind, fanden sich vor kurzem viele bisher unbekannte Namen in Opferdatenbanken von KZ-Gedenkstätten, deren Zuordnung zu Ingolstadt belegt werden konnte. Darunter Sinti und Roma sowie politisch Verfolgte.

Nicht nur die Opfer betreffend, insgesamt gibt es Lücken bei der Ingolstädter NS-Vergangenheit: War Sanitätsrat Ludwig Liebl beteiligt an Anordnungen zu Zwangssterilisationen? Was ist bekannt über das Außenlager des KZ Dachau in Ingolstadt?
Aufarbeitung ist von öffentlichem Interesse. Die anstehende Arbeit kann nicht allein ehrenamtlich geleistet werden. Für die Suche nach weiteren „Euthanasie“-Opfern sollte eine Projektstelle vergeben werden. Nach beendeten Recherchen zu Ingolstädter*innen unter allen NS-Opfergruppen ist nicht nur eine Gedenktafel notwendig, auch ein Online-Gedenkbuch mit Biografien und Fotos.

 

Jedes einzelne Schicksal ist eine eindringliche Mahnung: Es darf nie wieder geschehen! Aufarbeitung ist eine Frage des Respekts vor dem unermesslichen Leid der Opfer und ihren Angehörigen. Es ist unsere historische und menschliche Verantwortung. Werden wir ihr endlich gerecht!
 

 

Agnes Krumwiede,
Ausschusssprecherin im Ausschuss Kultur und Schule
Stadtratsfraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN

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